Ein Einblick in das Alltagsleben eines Fahrradfahrers

Nachdem ich einige Zeit Backpacker war, schöne Berge und Täler gesehen habe, Achttausender, mich ausgeruht und in unbeheizten Hotelzimmern gefroren habe, im teuersten Hotel am Ort ein super Frühstück zu einem guten Preis gegessen habe und viele Leute getroffen habe, ging es zurück nach Islamabad wo ich mein Visum für Indien abholte.

Yes, bereit um weiterzufahren! Bereit nach Indien zu gehen. Das Ziele ist so nahe. Aber…

Ich war wirklich unmotiviert. Und ich hatte noch nie solche Mühe mich selber zum weitergehen zu bringen. Es brauchte mich einige Tage um Islamabad und den Zeltplatz mit all den netten Leuten hinter mir zu lassen. Aber ich habe es dann geschafft und bin in drei Tagen nach Lahore gefahren.

Unterwegs habe ich viele Notizen gemacht. Hier ist ein Einblick in den Alltag eines Fahrradfahrers:

IMG_2793
10.11.:
Viel in meinem Kopf. Neue Freunde die ich hinter mir lasse. Eine Reise die unfertig ist. Nicht am Ziel, aber es gibt auch kein Ziel mehr. Es gibt nur noch ein Datum. Sie muss wieder mit Sinn gefüllt werden. Ein Körper der sich ausruhen müsste, der aber in diesen Gegenden immer wieder zurück zu den Magenproblemen kommt. Sehnsucht nach zuhause. Das Essen, die Wärme meines Elternhauses, Nähe mit meiner Freundin. Warme Duschen, gutes Essen, den Körper wieder aufbauen. Auch die Seele, all die lieben Menschen die nicht bei mir sind.
Aber nach Hause gehen würde das nicht lösen. Ich könnte mich erholen. Und dann? Zurück kommen und wieder mit schwachem Körper reisen? Wohin? Weshalb? Ich will Indien sehen und zwar auf dieser Reise. Das war das Ziel und das verfolge ich.

All diese Gedanken. Sie zeigen auf die Zukunft. Und es gibt nur den Moment. Jetzt bin ich hier, in Pakistan, auf der Strasse. Wieso? Es erfüllt mich nicht. Es ist ein Prozess durch den ich muss.
Ich höre Terra Naomi, dann Waldeck die mir sehr gefallen. Gehe in ein Hotel. Esse. Bin alleine. Will nachdenken, aber bin zu müde. Am nächsten Tag wieder dasselbe. Ich will mich reflektieren doch ich kann nicht denken. Wieder Terra Naomi, dann Waldeck. Immer weiter. Auf der Strasse nach Lahore.
IMG_2791
Später am selben Tag:
Der Start heute morgen war harzig. Alle 5 Minuten habe ich auf die Uhr und auf den Kilometerstand geschaut. Ich wollte vorwärts, aber meine Beine waren nicht so schnell wie meine Seele und meine Seele noch nicht wieder so langsam wie die Strasse. Doch irgendwann fand ich meinen Rythmus. War wieder am fahren.

Vorbei an allem was typisch Pakistan ist: All die kleinen Shops, überall irgendwer am schweissen, rumsitzen, pinkeln oder Tee trinken. Ich lehne Einladungen zum Gespräch weiterhin ab. Um halb 12 hält mich ein Verkehrspolizist mit akzeptablem Englisch an. Ich nahm die Einladung auf einen Tee an. War nett, das Teehaus war neben einem der Shops in dem sie aus alten Pneus Körbe machen. Cool. Der Polizist wurde gegen Ende mühsam, aber es war noch erträglich: Sind wir Freunde? Yes, Yes. Kann ich deine Adresse haben falls ich mal nach Australien, ou sorry, Switzerland komme? Klar (grrr). Nein, Telefonnummer habe ich nicht. Ja, hier Email.
Choda hafez. Die Begegnung hat mir trotzdem gut getan. Bin wieder etwas offener für das was um mich herum geschieht. Ich sehe einige Trucks mit geschnitzten Holztüren und kann sogar einen fotografieren.

IMG_2796

IMG_2798

Es wird Mittagszeit und ich sehe ein KFC-Schild. Das hat mich getroffen, die Werbung ging in mich. Ich habe Ausschau nach einem Truckerrestaurant gehalten (Truckerrestaurants werden als sauber empfohlen, denn als Trucker kann man ja nicht andauernd auf die Toilette müssen!) und nie eins gesehen. Dazu die Angst, dass ich mir meinen Magen noch mehr verderbe. KFC wäre da schon nett… Ein paar Kilometer später stand ich auch tatsächlich davor. IMG_2811

IMG_2807KFC. Eine Oase im chaotischen Pakistan. Wie Islamabad. Wie ein Kamel bei uns zuhause. Ein Ufo. Ein Fremdkörper. Grüne Wiese, nette Sitzgelegenheiten, ein grosszügiger Spielplatz, Rasensprenger. Drive-through! An der Tür aber wieder 2 Wachmänner mit Shotgun. Drinnen sauber, Plattenboden, weite Glasfenster, Pop in den Lautsprechern. Ja. Britney Spears mit: Baby, do it one more time. Auf der Toilette hat es Flüssigseife, aber keine Handtücher. Kunden in Shalwar Kameez kommen zur Tür herein und es fühlt sich falsch an.

Abends:
Um 14 Uhr ist meine Mittagspause beendet. Ich weiss: Noch etwas mehr als 3 Stunden, dann wird es dunkel. Ich möchte morgen in Lahore ankommen, also sollte ich heute möglichst viele Kilometer machen ohne die Kräfte aufzuzerren die ich morgen brauche.

Noch 160 km bis Lahore: Ramones im Ohr. Abweisend zu den mich ansprechenden Verkehrsteilnehmern. Es ist hügelig. Wer hat noch mal gesagt alles wäre flach? Das war glaube ich ein Motorradfahrer…
152km: Yann Tiersen – passend zu meiner Stimmung. Wäre das nicht auch ein guter Soundtrack für Pakistan? Ist Pakistan nicht wie Paris im Herbst? Eigentlich schön aber die Umstände stimmen nicht.
Noch 148 Kilometer. Der Kampf gegen die Sonne wird deutlicher.
Weiterstrampeln. Ich gönne mir keine Pause. Meine Beine reiben an der Radelhose.
136km: Die Sonne steht noch 10° über dem Horizont. Wasserbüffel, Felder, rote Sonne, Abendglühn, idyllisch. Auch wenn zuvorderst in meinem Blickfeld die laute Strasse und Siedlungen sind.
128 km: Die Sonne steht über dem Horizont
Noch 122 km bis Lahore: Ich fahre an Gujrat vorbei und nach einigen Kilometern entspanne ich mich. Das war mein Tagesziel und ich habe es erreicht.
17:00: Die Sonne ist nicht mehr zu sehen. Noch ist es hell. Die Suche nach einer Übernachtungsgelegenheit wird dringend.
17:15: Ich sehe ein schickes Hotel, ein Glaspalast mit vielen Wachen. Der erste steht bei der Einfahrt von der Strasse und lässt mich (wieso auch immer) ein paar Minuten warten. Ich fahre bis zur Tür, ein weiterer Wachposten ruft mir vom Dach zu, dass ich das Fahrrad 100 Meter weiter beim Autoparkplatz abstellen soll. Ich rufe etwas zurück und nerve mich, wurde mein Fahrrad doch sonst immer als Gepäck angeschaut, als Spielzeug, als was auch immer. Und plötzlich setzt es jemand einem Auto gleich. Ich kann es dann dort stehen lassen, nachdem ich es ein paar Meter verschoben habe. Das Hotel sieht innen aus wie aussen. Marmor, roter Teppich. Die Räume kosten dann auch 6000 Rupees aufwärts (CHF 70+). Die Kategorien sind ‘Suite’ und ‘Deluxe’. Ich bin schnell wieder draussen. Doch der Manager scheint fasziniert von mir. Da kommt jemand von Europa mit dem Fahrrad her… Er sagt er möchte mich nicht einfach so gehen lassen, was ich den zu zahlen bereit wäre. Die Antwort (dass ich sonst für 2-300 Rupees übernachte) lässt ihn erst verstummen. Doch er will mich noch auf einen Tee einladen. Ich lehne ab, ich möchte noch fahren solange man noch was sieht. (Wäre ich geblieben, hätte ich dann vielleicht eine Gratisnacht im Luxushotel rausschlagen können?)
Lange kein Schild und dann: nur noch 117 km bis Lahore
17:40: Ich sehe ein Truckerrestaurant, fahre weiter, ich brauche ein Hotel. Kriege Hunger. Sehe einen Feldweg der von der Hauptstrasse abzweigt, zu Feldern und Dörfern führt. Mir ist klar, dort werde ich irgendwo mein Zelt aufstellen können. Hunger. Ich fahre auf dem Seitenstreifen zurück zum Restaurant. Es ist jetzt ganz dunkel. Die entgegenkommenden Scheinwerfer blenden, auf dem Seitenstreifen hat es Sand der das fahren mühsam macht, Strassenbeleuchtung gibt es nicht.
18:00: Ich esse ein gutes Dhal (Linseneintopf) mit etwas Huhn und Roti (Fladenbrot), dazu Milchtee. Die Söhne des Restaurantbesitzers (14 und 19 Jahre alt) versuchen mit mir zu reden. Wir kommen nicht sehr weit. Ich trinke noch 2 Tees und lese in meinem Buch.
19:30: 70 Rupees war das Abendessen. Ich fahre zu dem Feldweg, realisiere dass das nicht so einfach ist mit diesen Feldern wie gedacht. Entweder sehr verworfene Erde oder frisch gesät. In einem Seitenweg hat es ein kleines Zelt und eine Feuerstelle. Wem gehört das, zu welchem Zweck steht das da? Ich weiss es nicht – das macht das einschätzen der Lage schwierig. Doch wird da heute noch jemand hinkommen? Kaum. Es macht eine super Übernachtungsgelegenheit für mich. Ich rolle meine Matte aus, wasche mich mit kaltem Wasser, werde immer wieder stutzig wenn es irgendwo knackt (was wenn doch noch ein Dorfjunge vorbeischaut und seiner Familie von mir erzählt?) und beruhige mich dann wieder.

Ich bin heute 130 km gefahren.
IMG_2828
12.11.:
6.38: Die Sonne weckt mich. Ich höre Traktoren und frage mich wieso noch niemand vor dem Zelt steht und mich anstarrt.
Mein Magen fühlt sich flau an. Ich esse ein paar Kekse. Packe langsam.
7:18: Ich fahre los. Realisiere, dass all die Traktoren auf der Strasse sind und nicht auf den Feldern.
7:38: Die Strasse hat mich wieder. Die Meilensteine werden regelmässiger: 98, 97, 96, 95, 94.
Ich fahre und fahre.

IMG_2835

Die letzten 40 Kilometer sind schlimm. Überall Fahrzeuge und Abgase. Keine Meilensteine die mich motivieren. Viele Fabriken und an der Strasse viel viel Abfall. Viele 2-Takter-Rikshas die die Luft verpesten und meinen auf volle Lautstärke gedrehten Musikspieler übertönen. Blauer Dunst. Endlich Lahore. Vorbei an Monumenten, vorbei an Data Ganj. Das Hostel.

 

Leave a Reply